Eigentlich müsste ich drinnen vor meinem Laptop an der Literaturrecherche für ein Uni-Projekt sitzen. Stattdessen chille ich draußen in der Sonne und lese Karsten Dusse.
Nachdem ich Dusses Erstlingswerk „Achtsam morden“ an zwei Tagen verschlungen habe, konnte ich es kaum erwarten „Das Kind in mir will achtsam morden“ zu suchten. Leider nur bleibt das Suchtpotenzial des zweiten Teils weit hinter seinem Vorgänger zurück.
War Band 1 noch eine erfrischende Mischung aus satirischem Selbsthilfe-Ratgeber und bittersüßem Krimi, als hätte „Better Call Saul“ mit „Breaking Bad“ geschlafen, so wirkt Band 2 eher wie die literarische Vereinigung einer ratgebenden Selbsthilfegruppe mit einem kriminellen Süßungsmittel.
Zum Lesen brauche ich diesmal auch deutlich länger. Eine ganze Woche zieht sich meine Lektüre schon hin. Dabei hätte ich allen Grund die 478 Seiten wegzulesen und die restlichen 25 ungelesenen Bücher in meinem Regal gleich hinterher. Immerhin habe ich was für die Uni zu erledigen. Und nichts geht über Prokrastination. Ich könnte natürlich auch die Wohnung putzen oder bügeln um mich davon abzulenken, dass ich Wichtigeres zu tun habe. Aber erstens besitze ich kein Bügelbrett und zweitens ist meine Bude blitzblank. Denn die hab ich gestern schon geputzt. Und vorgestern. Und vorvorgestern. Es ist eben nur ein Gerücht, dass es in einer Studentenbutze nur in Klausurphasen wie geleckt aussieht. Eine Literaturrecherche reicht dafür völlig aus.
Außerdem ist heute schönes Wetter und da lese ich doch lieber Karsten Dusse an der Alster als Peer-Reviews an meinem Schreibtisch. Gerade als ich mich so richtig in das Buch vertiefen will um mich von meinem schlechten Gewissen über die nicht getane Arbeit abzulenken, weht mir von links eine Rauchwolke in die Nase. Der aufgeblasene Nikotinspender auf der benachbarten Parkbank merkt nicht einmal, dass er mich und meinen Baby-Bauch belästigt und auf einmal bekommt der Buchtitel eine ganz andere Bedeutung für mich.
Ich hüstel ein paar Mal auffällig laut in Richtung meines unerwünschten Sitznachbars, doch der hört und merkt nichts und qualmt fröhlich weiter. Kurz überlege ich übertrieben stark zu husten, doch dann denken die Anwesenden bestimmt ich hätte Corona und rufen die Polizei.
Da hilft alles nix, da muss ich jetzt durch! Tapfer halte mir die Nase zu und halte das Buch direkt vor mein Gesicht. Dann fällt mir auf, dass ich weitsichtig bin und so selbst mit Brille nichts mehr sehe. Ich verfrachte den Dusse also wieder in seine Ausgangsposition und beschließe mich achtsam der Lektüre zu widmen – bevor ich aus Liebe zu meinem inneren Kind den Kettenraucher neben mir in die Alster stumpe.
Und dann passiert etwas Magisches: Über meinen Gedanken, dass ehemalige Raucher wie ich wirklich die militantesten Nichtraucher sind, fängt mich plötzlich der Spannungsbogen ein und ich vergesse völlig mich über Mr. Smog zu ärgern. Björn Diemels inneres Kind findet eine kreative Lösung für seine Probleme und Karsten Dusse beschreibt das Paradoxon des Opferkults so treffend und politisch unkorrekt, dass ich mir vor lauter Lachen nicht mehr die Nase zu halten kann.
Als ich mich beruhigt habe, ist die Bank neben mir leer. Der wandelnde Nikotinspeicher ist verschwunden. Wahrscheinlich habe ich ihn mit meinem Lachanfall vertrieben. Schlimm diese Lärmbelästigung in freier Natur! Ich sehe auf die Uhr und stelle fest, dass ich vor drei Stunden hätte anfangen sollen zu lernen. Aber jetzt sind es nur noch ein paar Seiten bis zum Schluss und der gute Karsten läuft bei seinem Endspurt wahrlich zur humoristischen Höchstform auf.
Und wenn dieser Autor in seinem Werk haufenweise Leute um die Ecke bringt, dann kann ich ja wohl noch ein paar kleine Minütchen totschlagen. Prokrastinieren eben. So ganz achtsam.